Meine MS-Therapie

Meine MS-Therapie

Es ist wieder so weit. Ein halbes Jahr ist vergangen und somit ist es Zeit für mein Medikament.
Zweimal im Jahr bekomme ich das Immunsuppressivum Ocrevus® per Infusion verabreicht. Das Medikament hat eine Depotwirkung für ein halbes Jahr. *

Sonntagabend:
Die Aufregung steigt, auch wenn es schon das vierte Mal ist, dass ich die Infusion bekomme, bin ich immer noch aufgeregt. Alles ist vorbereitet für den nächsten Tag, der Wecker steht auf 7:30Uhr und ich hoffe wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.

Montagmorgen:
Das erste Mal wach werde ich um 6:17Uhr. Irgendwie schaffe ich es aber bis zum Wecker klingeln im Bett liegen zu bleiben.
Nach dem Aufstehen geht es zum Frühstückstisch. Die erste Tablette muss ich schon vor dem Essen schlucken. Das Magenschutzmittel soll die Bauchschmerzen im Zaum halten. Nach dem Essen kommen noch zwei Schmerzmitteltabletten dazu.

Um 8:30Uhr bin ich in der Praxis. Hier ist genau so viel los wie immer und ich muss noch einige Zeit im Wartezimmer sitzen.
Dann werde ich von meiner Lieblingsarzthelferin aufgerufen, die mich auch gleich mit einem Lächeln begrüßt.

Um 8:55Uhr sitze ich im Infusionsraum. Als erstes wird mein Blutdruck und Fieber gemessen. Der Blutdruck ist ein wenig hoch (155/93). „Sind Sie etwa aufgeregt?“ werde ich grinsend gefragt. Meine Temperatur ist in Ordnung (36,6°C). Mein Neurologe betritt das Zimmer. Wie jedes Mal klärt er mich über die Nebenwirkungen auf, erzählt über einige Vorkommnisse mit dem Medikament in anderen Ländern, beruhigt mich aber auch gleich wieder, denn ich werde in der Praxis gut umsorgt und beobachtet. Er geht mit mir den Fragebogen durch, den wir am Ende beide unterschreiben müssen.

Dann kommt es zum ersten leidigen Thema an diesem Tag: Der Venenzugang muss gelegt werden. Meine Venen sind da leider immer etwas widerspenstig und mir graut es jedes Mal davor. Erst wird der linke Arm abgeschnürt. Ich muss mit der Hand pumpen, der Arzt klopf in der Armbeuge, dreht meinen Arm um, betrachtet sich die Hand. Ich schüttle fast unmerklich den Kopf. Bitte nicht wieder in die Hand stechen. Das sage ich ihm auch gleich. Wir wechseln den Arm nochmal. Und tatsächlich findet er eine Vene, die den Zugang die nächsten sieben Stunden aushalten kann ohne zu platzen. Zumindest hoffen das alle Anwesenden im Raum. (So viel nur vorweg: Sie hat gehalten!)

Um 9:05Uhr startet die erste Infusion. Erstmal bekomme ich 250mg Kortison, gelöst in 250ml Flüssigkeit. Meine Gesichtsfarbe wandelt sich währenddessen zu einem tomatenähnlichen Rot, wie mir ein Blick in den Spiegel zeigt. Mir wird warm und als wäre das noch nicht genug setzt nach gut 15min auch der bittere Geschmack im Mund ein. Auch in der Nase ist der bittere Geruch angekommen (blöde Schleimhäute!).

Um 9:55Uhr ist die Kortisoninfusion durch, ich klingle und werde abgestöpselt. Der Arzt kommt zurück und setzt die Spritze mit der Antiallergikum-Lösung am Zugang an und auch diese Flüssigkeit verschwindet schnell in meiner Vene. Mein Blutdruck ist jetzt bei 136/99.
Die erste Tortur ist geschafft. Jetzt sind 30-60min Pause, damit die Medikamente ihre Wirkung entfalten können und gegen die Nebenwirkungen der nächsten Infusion angehen können.
Endlich kann ich zur Toilette gehen! 😀

Es ist 10:30Uhr. Die Ocrevus® Infusion wird angelegt. Mit Hilfe eines Infusomaten wird die Tropfgeschwindigkeit eingestellt. Gestartet wird bei 40.0 ml/h. Alle halbe Stunde wird jetzt mein Blutdruck gemessen und die Tropfgeschwindigkeit in 40ml-Schritten bis auf max. 200 ml/h erhöht.
Das Antiallergikum hat seine Wirkung entfaltet, ich bin plötzlich total müde, kann kaum die Augen offenhalten, es ist wie ein Schleier, der sich über mich legt. Aber an Schlaf ist nicht zu denken, ich finde keine Ruhe und habe Hunger. Ich esse mein Brot und einen Apfel, der Blick in den Spiegel zeigt mir, dass ich jetzt immer blasser werde.
Dann kann ich 20min Schlafen, doch dann wird schon wieder Blutdruck gemessen. Das heißt jedes Mal: Aufsetzten, aus dem Jackenärmel schlüpfen, messen lassen und dann wieder in die Jacke reinkommen. Ohne helfende Hände wäre ich hier aufgeschmissen, den linken Arm kann ich schließlich weder beugen noch sonst irgendwie nützlich bewegen.

Es ist 14:10Uhr als der Infusomat mit einem lauten Piepen verkündet, dass die Infusion durchgelaufen ist. Ich werde abgestöpselt.
Zur Nachbeobachtung muss ich aber noch eine Stunde in der Praxis bleiben. Mein Blutdruck liegt bei 145/77.
Ich muss wieder zur Toilette, die Flüssigkeit muss schließlich irgendwann auch wieder raus. Das jemand mit einem Zugang am Arm durch die Praxis läuft ist übrigens kein allzu häufiger Anblick, sodass mich die anderen Patienten im Wartezimmer interessiert anschauen.

Nach der Nachbeobachtung muss ich nochmal auf den Arzt warten. Das dauert, schließlich ist die Praxis immer noch voll und einer der Ärzte im Urlaub.
Um 15:45Uhr wird mir endlich der Zugang gezogen. Ich warte nur noch auf eine Unterschrift und kann um 16:20Uhr die Praxis verlassen.

Zuhause angekommen geht es für mich gleich wieder in Bett, der Tag war anstrengend und durch den ganzen Medikamentencocktail in meinem Körper bin ich ganz schlapp.
Ab 19:30Uhr setzen die Nebenwirkungen nochmal alle gleichzeitig ein. Mein Puls geht hoch, das ist dem Kortison verschuldet. Ich fühle mich furchtbar schlapp und zittrig. Mein Magen schmerzt.
Jetzt noch etwas zu machen, ist zu anstrengend, aber das klopfende Herz lässt mich auch nicht zur Ruhe kommen. Ich möchte weinen, weil das komische Gefühl den ganzen Körper befällt. Es dröhnt in den Ohren. Zu viele Nebenwirkungen die gerade gegeneinander spielen.

Gegen 22Uhr schlafe ich aber tatsächlich ein und werde diese Nacht auch nur selten wach. Was für ein Glück!
Als ich am nächsten Morgen aufwache, geht es mir schon besser. Der Körper ist noch schlapp und es dröhnt noch in den Ohren, aber das wundert mich nicht weiter.
Heute und morgen kann ich mich noch ausruhen und dann sollte auch endlich alles wieder normal sein.

Ich wurde letztens von einer Bekannten, die auch MS hat, gefragt, ob ich Ocrevus® weiterempfehlen würde.
Darüber musste ich einige Zeit nachdenken. Ich glaube, man muss bei diesem Medikament sehr genau den Nutzen abwägen. Meine MS-Laufbahn begann gleich als ein hochaktiver Verlauf und somit war für mich Ocrevus® bestimmt die beste Wahl. Es schlägt bei mir bisher auch sehr gut an und ich hatte wenige bis keine neuen Entzündungsherde im Kopf und im Rückenmark. Doch für jeden Anderen, der auch noch andere, leicht verträglichere Medikamente zur Auswahl hat, die keinen so großen Aufwand bei der Einnahme erfordern, würde ich es nicht unbedingt empfehlen. Natürlich erfolgt die Einnahme durch die Infusion nur alle halbe Jahr, doch der Termin selbst und die Tage danach sind schon eine große Belastung für den Körper. Und das Medikament nimmt einen großen Einfluss auf den Körper und sein Immunsystem.

Ich war am Anfang sehr skeptisch dem Medikament gegenüber. Wir mussten uns sozusagen erst aneinander gewöhnen. Die Nebenwirkungen, die ich spüre, sind die, die sich gleich nach der Infusion zeigen und im Laufe des halben Jahres habe ich vermehrt starke Kopfschmerzen und Phasen der Erschöpfung.
Vom Nutzen des Medikamentes für mich, bin ich aber nach dem letzten unauffälligen MRT überzeugt. Ich hoffe, dass die Wirkung noch lange anhält.

* Handelsname Ocrevus; Hersteller Roche
„Bei Ocrelizumab handelt es sich um einen humanisierten monoklonalen Antikörper, der an CD20-positive B-Zellen bindet, die bei Multipler Sklerose eine große Rolle spielen, und führt zur – reversiblen – Elimination dieser Zellen. Das Fortschreiten der Erkrankung wird – besonders bei jüngeren Patientinnen und Patienten mit kürzerer Erkrankungsdauer und nachweisbarer Krankheitsaktivität – gebremst.“ (https://www.msges.at/multiple-sklerose/therapieformen/intervalltherapie/ocrevus/)

Nebenwirkungen:
Zu den wichtigsten Nebenwirkungen zählen Veränderung der körpereigenen Abwehr wie grippeähnliche Nebenwirkungen, Kopfschmerzen, Knochenschmerzen, gesteigerte Infektanfälligkeit und in einzelnen Fällen allergische Reaktionen auf die Substanz, Infusionsreaktionen wie Juckreiz, Hautausschlag und Atembeschwerden, leichte bis mittelschwere Infektionen der oberen Atemwege und Kopfschmerzen.

In Studien wurde eine leicht erhöhte Zahl von Krebserkrankungen (insbesondere Brustkrebs) gegenüber Plazebo festgestellt, die aber der Krebsrate der Allgemeinbevölkerung zu entsprechen scheint.

Ein Fall einer Progressiven Multifokalen Leukenzephalopathie (PML) unter Ocrelizumab dürfte auf die vorangegangene Behandlung mit Natalizumab zurückzuführen sein, also eine sogenannte carry-over-Konstellation zu einem Zeitpunkt, zu dem die PML vor der Ocrelizumab-Infusion klinisch noch nicht erkennbar war. Regelmäßige neurologische Kontrollen zum PML-Screening sind anzuraten.
Auftretende Infekte sollten rasch und ausreichend behandelt werden.“ (https://www.msges.at/multiple-sklerose/therapieformen/intervalltherapie/ocrevus/)

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